Neurobiologische Korrelate von Meditationstiefe
Da das Gehirn der stoffliche Träger von Bewusstsein ist, verwundert es nicht, dass sich meditative Bewusstseinszustände auch, auf eine naturwissenschaftlich messbare und fassbare Weise, auf die neurobiologische Ebene auswirken. Es konnte mehrfach nachgewiesen werden, dass Meditation die Neuroplastizität und das Wachstum der grauen und weißen Substanz fördert (Lazar et al., 2005). Neuroplastizität bezeichnet die Fähigkeit des Gehirns zur Neubildung. Sie bedeutet inhaltlich bzw. psychologisch, dass negative Erfahrungen und Konditionierungen „überwachsen“ werden können. Wachstum und Dichte der Nervenfasern in wichtigen Hirnarealen, so z.B. im mittleren Präfrontal-Cortex, im orbitofrontalen Cortex, im Insel-Cortex und Hippocampus, nehmen zu (Hölzel et al., 2007, 2008, Ott et al., 2011). Der mittlere Präfrontal-Cortex ist für die Aufmerksamkeitsregulation zuständig, der orbitofrontale Cortex für Emotionsregulation, der Insel-Cortex für das leib-seelische Wohlbefinden und der Hippocampus für das Gedächtnis.
Die Aktivierung, das Wachstum und die Dichte von Spiegelneuronen scheinen von regelmäßiger meditativer Praxis zu profitieren (Siegel, 2007). Die Spiegelneuronen ermöglichen dem Gehirn, sich auf Mitmenschen einzustimmen, und haben etwas mit der Empathiefähigkeit und allgemeinen emotionalen Schwingungsfähigkeit zu tun.
Auch die „Software“ wird durch Meditation positiv beeinflusst. Das Gehirn lernt neue Reaktionsweisen kennen. Es reagiert z.B. nicht mehr mit Stress, Anspannung, Nervosität, Panik, Abwehr oder Aggression auf kritische Situationen, sondern profitiert von einer situationsübergreifenden Gelassenheit, Klarheit und flexiblen, fein abgestimmten Handlungsfähigkeit. Durch Angst, Aggression und Stress bedingte Adrenalin- und Cortisol-gesteuerte Reaktionsmuster werden seltener, durch Intention, Kooperation und Achtsamkeit motivierte neuronale Feuermuster und Aktionspotenziale werden häufiger. Meditation wirkt hemmend auf Adrenalin-Freisetzung und förderlich für die Serotonin- und Dopamin-Synthese bzw. - Ausschüttung. D.h. Meditation fördert einerseits Stressabbau, Entspannung und Wohlbefinden (Serotonin), zum anderen Konzentration, Achtsamkeit, Selbstwirksamkeit und Enthusiasmus (Dopamin). Es gibt aber auch widersprüchliche Ergebnisse zur Wirkung von Meditation auf die Endokrinologie. Ich habe hier lediglich Tendenzen wiedergegeben. Der Forschungsstand ist selbstverständlich nicht abgeschlossen.
Meditation begünstigt Lern- und Entwicklungsprozesse. Der Mensch wächst über sich selbst hinaus, indem er durch Einsichten und positive Erfahrungen dazulernt. Dieses Prinzip spielt in der Verhaltenstherapie eine große Rolle, denn der Mensch kann aktiv dazu beitragen, positive Erfahrungen mit sich und dem Leben häufiger werden zu lassen. Meditation als ein Zustand, mit sich und dem Leben im Einklang zu sein, spielt dabei eine große Rolle. Ängste und depressive Zustände werden dadurch abgebaut und ihre Auftrittswahrscheinlichkeit seltener. Erfahrungen sind aber nicht immer an sich einfach nur „positiv“ oder „negativ“, sondern können durch kognitive Prozesse der Erkenntnis und Sinngebung eine letztendlich wachstumsförderliche Bedeutung erhalten und entwicklungsförderlich wirken (Piron, 2007).
Tiefe Meditation fördert breitflächige Vernetzungen und Synergie-Effekte im Gehirn. Die interne Kommunikation und das synergetische Zusammenspiel zwischen verschiedenen Hirnarealen verbessern sich. Man nennt das auch „Neuronale Integration“ (Siegel, 2007). Meditation fördert auch die kooperative Zusammenarbeit von „Kopf“, „Herz“ und „Bauch“. Rationalität, Gefühl und Intuition müssen sich schließlich nicht ausschließen. Ihr ergänzendes, komplementäres, sich gegenseitig bereicherndes Potenzial wird gewissermaßen durch Meditation gefördert. Dies zeigen die breitflächigen Gammawellen-Synchronisationen in den verschiedenen Hirnarealen (vgl. Ott, 2010).
All diese Zuordnungen sind noch nicht absolut gesichert und eindeutig. Es handelt sich dabei um Interpretationsversuche. Gerade die EEG-Wellen des Gehirns lassen sich nicht immer eindeutig interpretieren und einem einzigen Tiefenbereich zuordnen. Sie können je nach lokalem Auftreten und Zusammenhang unterschiedliches bedeuten. Besonders Thetawellen werden in der Literatur sehr heterogen diskutiert. In der Meditationsforschung werden sie meist mit mentaler Ruhe, entspannter Konzentration oder gar Versenkung in Zusammenhang gebracht. Außerhalb der Meditationsforschung wurden sie aber auch schon als Indikatoren von Dösigkeit, Tagträume oder Intuition gewertet oder dem REM-Schlaf zugeordnet. Wie auch immer, das diskursive Denken ist in diesem Zustand wohl eher inaktiv.